„Es genügen nur wenige Töne. Wir kennen und erkennen sie – die Partita Nr. 2 in d-Moll von Johann Sebastian Bach. Der Finalsatz dieser fünfsätzigen Komposition ist die Chaconne: Violine solo, unzählbar oft gespielt. Im Themenprojekt „gestern.hoffen.morgen“ dann jedoch spracherweitert mit Johanna Röhrig, Violine und Quartonal, Männergesangsquartett.
Die Chaconne streckt in diesem musicaetcetera-Projekt die Geige spielenden Hände zum gesungenen Wort aus, um uns mit ihrer musiksprachlichen, tänzerischen Botschaft durch gegenwärtige Momente der Erinnerungen und des Vorausschauens zu begleiten. Neben Bekanntem werden durch drei Kompositionsaufträge an Jonathan Heck (Komponist, Schauspieler) auch eingeübte Hörgewohnheiten erweitert.
„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, hat vor geraumer Zeit der Dichter Erich Kästner geschrieben. Im GESTERN der Zeit – genau wie in den Noten der Partita von Johann Sebastian Bach – geschieht dies hier wie üblich für Violine solo und erzählend vertont durch den Gesang von vier Männerstimmen. In der Chaconne verstecken sich beeindruckende Choralzitate, von Bach unmittelbar nach dem Tod seiner ersten Frau komponiert. Es ist ein Tanz um Leben und Tod, um Licht und Schatten – im Heute, im Jetzt, zwischen gestern und morgen.
Erinnerungen öffnen sich von selbst wie die Seiten eines Poesiealbums. Gedanken und Gefühle an Vergangenes gestalten eine augen- und ohrenblicklich neue Gegenwart. Erinnerungen dehnen die Zeit!
Solch eine von uns Menschen wahrnehmbare Gegenwart entsteht auch im Blick nach vorn, also z. B. aus Plänen, aus der gedanklichen Vorwegnahme zukünftigen Handelns im MORGEN – besonders wohl auch aus Ängsten in einer als bedrohlich empfundenen Zeitenwende, – durch den Klimawandel, die Corona-Pandemie und aktuelle politische, ökonomische Krisen. Unsere Welt verändert sich rasant: Natur löst sich auf, menschliche Gesellschaften driften auseinander, prallen im schlimmsten Fall aufeinander.
Physikalisch ist das, was wir als Gegenwart bezeichnen, tatsächlich unendlich klein. Jede vor uns liegende Sekunde wird mit jedem Ticken der Uhr unendlich schnell zur Vergangenheit – unendlich klein, gegen Null. Es ist faszinierend, beinahe paradox, dass jede und jeder von uns, jedes Tier und jede Pflanze tatsächlich aber nur in dieser unendlich kleinen Folge von Momenten lebt. Es gibt kein Leben im Gestern und es gibt auch kein Leben im Morgen. Jeder Wimpernschlag ist – so betrachtet – zeitlich bereits eine unendliche Folge von „Gegenwarten“. Das Leben ist allerdings nur gegenwärtig denkbar – und auch die hier aufgeschriebenen Gedanken sind im selben Augenblick bereits Vergangenes. Erneut gelesen, bleiben diese als Erinnerung erhalten und können somit im gedanklichen Abruf beliebig zu neuen Gegenwarten werden.
Überbrücken wir den permanenten Übergang zwischen dem, was vor uns liegt und dem was war, im Jetzt mit „HOFFEN.“ und „handeln.“, dann machen wir die Welt vermutlich ein klein wenig besser. Das musicaetcetera-Themenlabor „gestern.hoffen.morgen.“ möchte mit dem Können und Wissen von heute und morgen – Hoffnung säen, um den hohen Wert des Lebens im JETZT mit allen Sinnen wahrzunehmen und zu erhalten.“
(Peter Wilckens)